Radfahren in Weimar 2000...

 ...ein Review.
Ausgangspunkt war eine Podiumsdiskussion, die im Juni 2000 im MON AMI stattfand. Vertreter einiger Weimarer Parteien stellten sich Interessierten um über die Radverkehrspolitik zu diskutieren...

Für mich war es Motivation genug um dem Mitinitiator ADFC, wo ich damals noch nicht aktiv war, meine Sicht der Verkehrssituation in Weimar zu schildern:

An den ADFC Weimar...

Ich war, wenn auch verspätet, in der Podiumsdiskussion im Mon ami. Aufgefallen sind mir mehrere Dinge:

Positiv ist mir aufgefallen, das insbesondere der Herr in Grau, ich glaube von der PDS, eine gewisse Offenheit und Bereitschaft zeigte, fundierte Aspekte und andere Bewertungen der Radverkehrssituation zu akzeptieren.

Verantwortlichkeit

Schon in meiner aktiveren Zeit in Bremerhaven ist mir die stark emotionalisierte Bewertung, die anonyme Zwanghaftigkeit und Entmenschlichung des Verkehrsgeschehens aufgefallen. Die Verantwortlichkeit des Menschen in seiner Umwelt wird unterschlagen. Von Autos die einen Unfall verursachen ist die Rede, nicht von den Fahrzeuglenkern die sich vorsätzlich oder fahrlässig falsch verhalten haben. Von überhöhter Geschwindigkeit des Fahrzeugs wird berichtet, nicht von dem Fahrer, der seine Geschwindigkeit unangemessen hoch wählte.

Die bewußte Verantwortung für das eigene Verhalten wird, insbesondere bei Autofahrern, oft nicht wahrgenommen; das Verhalten richtet sich nach dem 'was alle machen' und dem emotionalen Drang zu fahren und den (Kraft-) Verkehr nicht zu behindern.

Ein schönes Beispiel ist das Parken auf Geh- und Radwegen sowie auf Grünstreifen: jeder Führerscheinbesitzer hat gelernt das Fahrzeuge am Straßenrand abzustellen sind, trotzdem parken viele ihre Fahrzeuge lieber auf Geh- und Radwegen, es sei denn es stehen schon viele andere Fahrzeuge ordnungsgemäß am Straßenrand.
Aufgefallen ist mir das in der Jenaer Straße vor dem Finanzamt. Wenn das erste Fahrzeug welches dort parkt halb auf dem Gehweg abgestellt ist, werden alle anderen Fahrzeuge ebenfalls ordnungswidrig und behindernd für Fußgänger abgestellt. Parkt das erste Fahrzeug dort allerdings ordentlich, werden signifikant mehr Fahrzeuge ordnungsgemäß auf der Straße abgestellt.
Frage ich das Verhalten nach, erhalte ich selten aussagekräftige Antworten. 'Es ist zu gefährlich, das Fahrzeug auf der Straße abzustellen'; oder 'Ich will den Verkehr nicht behindern.' ...

Es ist für viele Autofahrer außerordentlich schwer ihr Fahrzeug als einzelnes ordentlich in einer Straße zu parken, d.h. am rechten Fahrbahnrand abzustellen. Das Fußgänger, Radfahrer dadurch behindert werden oder Geh-, Radwege und Grünstreifen sogar beschädigt oder zerstört werden scheint nebensächlich.

Ein weiterer Aspekt der Verantwortung im Verkehr ist ein Gedanke der mir bei der Podiumsdiskussion bewußt geworden ist: Stillschweigend gehen führerscheinbesitzende Verkehrsteilnehmer davon aus, daß alle Teilnehmer des Verkehrsgeschehens Ahnung von den Verkehrsregeln haben. Da alle Menschen am Straßenverkehr teilnehmen (müssen), weil es Teil unserer Welt ist, ist diese Voraussetzung falsch. Wirklich erwarten kann man die Beherrschung der Verkehrsregeln nur von Besitzern einer Fahrerlaubnis, und das ist schon eine Wunschvorstellung.

Nicht ohne Grund gibt es den §1 StVO in dem ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht gefordert wird. Fahrzeugführer stehen in einer besonderen Verantwortung, denn sie stellen mit ihren Fahrzeugen ein Gefährdungspotential gegenüber anderen dar.

Verantwortlichkeit, Prägung

Die Verantwortlichkeit erstreckt sich noch weiter. Alle Verkehrsteilnehmer lernen bei der Teilnahme am Verkehrsgeschehen aus den durchlebten Situationen. Sie prägen sich, im allgemeinen unbewußt, übliche Verhaltensweisen ein und gehen in Zukunft von diesem Verhalten aus. Wenn zum Beispiel ein Autofahrer desöfteren feststellt, daß Fußgänger an Fußgängerüberwegen auf ihr Vorrecht die Straße zu überqueren verzichten, wird er sich weniger aufmerksam und bremsbereit Fußgängerüberwegen nähern, ausgehend von der Annahme das er wieder vorgelassen wird.

Überholt ein Autofahrer desöfteren Radfahrer mit zu geringem Abstand, prägt es sich ein, und er wird immer wieder zu geringe Abstände wählen, bis es zu einer Situation kommt in dem ihm der zu geringe Abstand deutlich wird - Ein deutlicher Schlenker nach links, während der Autofahrer zum überholen ansetzt, reicht meistens aus.

Ich bin kein Freund von erzieherischen Maßnahmen im Straßenverkehr durch Verkehrsteilnehmer, aber ich halte es für notwendig anderen Gefährdungssituationen deutlich zu machen, damit sie nicht erst am Ernstfall lernen.

Die Situation im Straßenverkehr kann man nicht ändern, wenn man sich nicht mit den Verantwortlichen des Verkehrsgeschehens auseinandersetzt. Verantwortlich sind in erster Linie Verkehrsteilnehmer (ich, du, Ihr und wir alle!) - sie bestimmen was passiert.

Sicherheit

Ich bewerte es als positiv, wenn man im Straßenverkehr zu der notwendigen Aufmerksamkeit angehalten wird, anstatt in mit einem trügerischen Sicherheitsgefühl in kritische Situationen zu fahren.

Aber neben Autofahrern können auch viele Radfahrer nicht zwischen Ihrem Sicherheitsgefühl, und dem was sicher ist, unterscheiden.

Deshalb einige erforschte Aussagen insbesondere zur Sicherheit beim Radfahren:

Sicherheit und Nutzen von Bordsteinradwege

Radwege waren im Westen bis Mitte der 80er das bevorzugte verkehrspolitische Mittel Radverkehr sicherer und vor allem den Kraftverkehr flüssiger zu gestalten.

Dies hat sich nicht bestätigt.

Innerorts ist das Fahren auf Bordsteinradwegen nicht sicherer als das Radfahren auf der Fahrbahn. Die Gefahrstellen verschieben sich nur zu den Knotenpunkten.

Manche Radfahrer fühlen sich auf Rad- und Gehwegen sicherer als auf der Fahrbahn oder Radfahrstreifen. (ich nicht)

Schlechte Radwege verringern nicht nur den Fahrkomfort sondern auch die Wahrnehmungsfähigkeit. Sie gefährden unter Umständen sogar die Gesundheit.
Radwege weisen im Allgemeinen keine so gute Oberfläche auf wie die angrenzende Fahrbahn. Sie werden in Betonpflaster ausgeführt, mit angefasten Kanten. Nach Setzungen und unplanmäßigen Belastungen durch Kraftfahrzeuge ist die Oberfläche sehr schnell in einem schlechten Zustand.
Die resultierenden Belastungen wurden an der Carl-von-Ossietzky Universität in Oldenburg untersucht; es wurde festgestellt, daß die Belastungen eines Radfahrers auf den üblichen Radwegen, je nach Zustand des Wegs, bedenklich bis unzulässig nach Arbeitsschutzrecht sind.

Radwege behindern Radfahrer.
Es kann nicht so schnell gefahren werden, Abbiegen dauert länger ( besonders links ) und die Ampelphasen für Radwegbenutzer sind erheblich kürzer, so daß längere und mehr Haltezeiten an Knotenpunkten entstehen.

Radwege werden als Park- und Halteflächen mißbraucht und von Fußgängern mitbenutzt.

Fahren Radfahrer im direkten Sichtbereich der Kraftfahrzeuglenker, werden sie von ihnen besser, eher und deutlicher wahrgenommen.

Radfahrer auf der Fahrbahn senken das Geschwindigkeitsniveau der Straße und schaffen so indirekt einen Sicherheitsgewinn für alle Verkehrsteilnehmer.

Einbahnstraßen

Fahren entgegen einer Einbahnstraße ist nicht gefährlich, aber i.A. verboten. (leider). Die emotionale Aversion vieler gegen die Öffnung von Einbahnstraßen resultiert aus zwei Betrachtungen.

In einem Forschungsbericht aus Münster wurde die Sicherheit der Öffnung von Einbahnstraßen festgestellt. Wenn der Radfahrer von Autofahrern wahrgenommen wird, kann man schon fast Vorsatz unterstellen, falls es zu einer Kollision kommt.

Verhalten

Untertäniges scharf rechts fahren ist wesentlich gefährlicher als einen angemessener Sicherheitsabstand von 1 - 2 m zum Fahrbahnrand, Bordstein oder parkenden Fahrzeugen einzuhalten. Nicht nur plötzlich geöffnete Autotüren können einen Radfahrer zu Fall bringen sondern auch eine Windböe, die einen Radfahrer an die Bordsteinkante drückt.

Nimmt ein Autofahrer war, daß ein Radfahrer sich dicht an parkenden Fahrzeugen entlangschleicht wird er eher überholen wollen und einen geringeren Abstand zum überholen wählen.

Radverkehrspolitik in Weimar

Für die Sicherheit und Attraktivität des Radfahrens in kann in Weimar meiner Meinung nach folgendes getan werden:

Abstellanlagen

Viele in Weimar, für das Bauen Verantwortliche, wissen um die Notwendigkeit sinnvoller, funktionaler und schöner Fahrradabstellanlagen. Dementsprechend ist die Ausstattung mit Abstellmöglichkeiten im Vergleich mit anderen Städten gut.
Die schönsten Anlehnbügel stehen an der Walter Rathenau Schule beim neuen Kunstmuseum. Aber auch die Weimarer Wohnstätte baut ordentliche Bügel in ihren Siedlungen ein und am Graben (u. a. dort wo es die Wurst gibt!) sind auch ordentliche aufgestellt worden. Ebenso am neuen Handelshaus / DNT kann man sein Rad ordentlich abstellen und anketten.

Nur ein paar Weimarer Geschäftsleute, das Studentenwerk und die Hochschule trotzen dieser umgreifenden Fahradabstellfreundlichkeit und bieten nur ungeeignete und vorderradverbiegende Stellmöglichkeiten an.

Positiv ist ebenfalls zu werten, daß nach Bauordnungsrecht Abstellmöglichkeiten für Fahrräder nachzuweisen sind.

Medien und Verkehr

Zur Radverkehrspolitik gehört auch die Darstellung des Verkehrsgeschehens. Die oben beschriebene Haltung von Autofahrern wird in all ihrer Oberflächlichkeit emotionalisiert dargestellt. In Serbien ist Krieg und die Schlagzeile der einschlägigen Thüringer Radiosender lautet tagelang: 6Pf/l Benzin, Autofahrer werden abkassiert. Die zweite Nachricht besagt, daß ein Autofahrer durch einen Baum ums Leben gekommen ist.

Ich denke, die Medien sind ein Mittel, um die menschliche Einflußnahme auf das Verkehrsgeschehen und die Verantwortung aller Verkehrsteilnehmer zu verdeutlichen.

Ein Autofahrer kommt nicht durch einen Baum ums Leben, sondern durch falsches Einschätzen der Verkehrssituation und unangepaßtes Fahrverhalten oder einen nicht beherrschbaren technischen Defekt. Der Fahrer ist in einer solchen Situation das einzig aktive handelnde Element und verdient die Erwähnung. Durch das Hervorheben auch menschlicher Fehleinschätzungen und Fehlverhaltens kann eine Stärkung der bewußten Verantwortlichkeit der Verkehrsteilnehmer erreicht werden.

Politik, Meinungsbildung und Medien

Politik gründet auf einer Meinungsbildung in der Gesellschaft. Ziele sind nur dann durchsetzbar, wenn ein Meinungsbild dazu vorhanden ist. Eine Meinung bildet das Individuum entweder auf Grund von einer Auseinandersetzung mit einem Thema oder aus Opportunität zu einer gesellschaftlichen Gruppe. Bei der Auseinandersetzung werden in erster Linie Auswirkungen auf das Individuum betrachtet und manchmal auch der gesellschaftliche Kontext oder sogar ein globaler Zusammenhang.

Um den Radverkehr zu stärken gibt es demnach mehrere Möglichkeiten.

Darstellung

Beispiele hierzu sind:

Aktionen

Spektakuläre Aktionen, um die Leistungsfähigkeit von Radfahrern darzustellen und das Radfahren ins Licht der öffentlichkeit zu rücken könnten sein:

In den Medien können Mißstände der Radverkehrssituation anderen Nahegebracht werden. Dies sollte aber begründet und mit Lösungsvorschlägen sein. Die Radverkehrsanlagen in Weimar können auch vom ADFC geprüft und anhand auch der neuen technischen Vorgaben bewertet werden.

Radfahren

Nicht vorenthalten möchte ich noch einige Gedanken aus meiner Fahrpraxis die sich aus dem obigen ergeben, sich bewährt haben und schon fast als Grundregeln zu bezeichnen sind (meinen letzten und einzigen Unfall als Radfahrer hatte ich mit einem anderem Radfahrer 1991):

Ich hoffe, Ihnen einen kleinen Einblick in meine Sicht des Verkehrsgeschehens gegeben zu haben, um damit Anregungen und einen kleinen Beitrag zur Radverkehrspolitik des ADFC Weimar zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen

 

Mittlerweile...

 ...bin ich im adfc Weimar aktiv, in den Landesvorstand des adfc Thüringen gewählt und ausserdem regelmäßig im Fachausschuß Radverkehr des adfc / SRL